Stille Post vom Anwender zum Entwickler


Vor einiger Zeit durfte ich Zeuge werden folgender, kaskadierter Kommunikation, welche zu allem รœberfluss auch noch vollstรคndig per Email stattfand.

Anwender beim Kunden zu seinem Projektmanager: “Ich will nicht immer in den Daten meines Kollegen arbeiten mรผssen, geht das irgendwie?”

Projektmanager des Kunden zum Sales Manager des Auftragnehmers: “Unterstรผtzt das Produkt eine Art Benutzerlogin, damit die Daten der einzelnen Anwender getrennt bleiben?”

Sales Manager zum Produktmanager: “Der Kunde benรถtigt dringend eine Benutzerverwaltung, wie schnell bekommen wir das umgesetzt?”

Produktmanager zum Chief Product Owner: “Ohne richtige Benutzerverwaltung werden wir den Kunden verlieren! Wann kรถnnen wir die liefern?”

Chief Product Owner zum Product Owner: “Es gibt eine neue Story ‘Benutzerverwaltung’. Bitte kรผmmere Dich schnellstens drum, ich stelle sie an die oberste Stelle fรผr Dein Backlog.”

Product Owner zum Entwicklungsteam: “Ich habe drei neue User Stories fรผr Euch. Wir brauchen eine typische Benutzerverwaltung mit folgenden Stories. Als Administrator mรถchte ich Benutzer anlegen und diesen Funktionen und Rechte zuweisen, damit nicht alle Anwender auf alle Bereiche zugreifen kรถnnen. Als Anwender mรถchte ich mich einloggen und meine persรถnlichen Einstellungen verรคndern, damit ich das Aussehen der Anwendung auf meine Vorlieben anpassen kann. Als Administrator mรถchte ich Benutzergruppen verwalten, damit ich nicht jedem einzelnen Anwender Rechte zuweisen muss.”

Frage der Entwickler: “Sollen die Anwender auf alle Daten zugreifen kรถnnen oder nur auf ihre eigenen?”

Antwort des Product Owner: “Nein, das wird auf keinen Fall benรถtigt. Ich mรถchte, dass die Anwender sich einloggen mรผssen, aber jederzeit mit allen Datensรคtzen arbeiten kรถnnen.”

Was kรถnnen wir aus dieser Geschichte lernen? Wenn wir uns die agilen Werte, Prinzipien und Praktiken ansehen, gibt es mehrere Aspekte, die hier schief gelaufen sind.

  • Einfachheit (Simplicity) – Anstelle der einzig sinnvollen User Story “Als Anwender mรถchte ich nur auf meine eigenen Daten zugreifen kรถnnen, um nicht in den Daten meines Kollegen arbeiten zu mรผssen” wurden drei User Stories erfunden, welche mit dem tatsรคchlichen Anwendernutzen nur noch sehr entfernt etwas zu tun haben.
  • Kommunikation (Communication) – Wir kรถnnen nicht unterstellen, dass Kommunikation nicht stattgefunden hat. Sie war nur sehr einseitig und wurde direkt interpretiert und weitergeleitet ohne dass ein Dialog zwischen den Beteiligten zustande kam.
  • Aktive Einbindung der Anwender (Active User Involvement) – Der echte Anwender hรคtte mindestens direkt mit dem Product Owner kommunizieren sollen, besser noch mit dem Entwicklungsteam. Statt dessen gab es fรผnf Informationsvermittler zwischen Anwender und Team.
  • Business Value – Fรผr den Auftragnehmer ist durch die entstandene Beauftragung zumindest ein monetรคrer Wert entstanden. Wenn wir Business Value jedoch als Kundennutzen interpretieren, dann wird nicht der geringste Wert geliefert, da der Anwender immer noch nicht so mit dem System arbeiten kann, wie er es gerne hรคtte.
  • Verschwendung erkennen und eliminieren (Seeing Waste, Eliminate Waste) – An vielen Stellen in der Kommunikation wรคre die Frage notwendig gewesen: “Wofรผr ist das gut?” Wenn wir den “in order to”-Teil einer User Story nicht zweifelsfrei beantworten kรถnnen, laufen wir Gefahr, unnรผtze Features umzusetzen, welche den Anwender nicht glรผcklich machen und dafรผr Zeit, Aufwand und Geld kosten. Waste in Reinform. Nicht nur die unnรถtigen User Stories mรผssen wir als Waste identifizieren, auch die fรผnf unnรถtigen Zwischenstufen in der Kommunikation sind reine Verschwendung.

Mein Fazit lautet: der einfachste Weg funktioniert am besten. Durch die kontinuierliche Einbindung der echten Anwender in ein Team und die konsequente Beantwortung der “wofรผr ist das gut”-Frage sorgen wir dafรผr, den grรถรŸtmรถglichen Kundennutzen mit der einfachsten Lรถsung ohne groรŸe Missverstรคndnisse zu erzeugen und das ohne die geringste Verschwendung.


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